Soziale Kompetenz

Als generelle Strategie empfehle ich, sich immer wieder die Frage zu stellen:
Ist mein Verhalten situations- und adressatengerecht?

  • Die Situationsangemessenheit umfasst die Aspekte welches Ziel in der Situation verfolgt wird bzw. worum es in der Situation geht. 
    Ein Praxisbeispiel: Wenn man sich in der Kneipe zum Feiern trifft, möchten die meisten Menschen nicht über die Hintergründe aktueller politische Probleme sprechen, obwohl man selber das vielleicht total interessant findet. Sowohl die emotionalen Assoziationen als auch die intellektuelle Aktivierung / Anstrengung steht bei vielen dem Ziel von entspannten und ausgelassenem Feiern gegenüber.
    Auch auf einer Beerdigung ist es nicht sinnvoll, für das Thema viel Raum zu fordern, denn hier stehen die verstorbene Person, die Trauer der Angehörigen und das Trostspenden im Mittelpunkt.
  • Adressatengerechtheit: Hierbei müssen drei Aspekte eingeschätzt werden:

1. Ist mein Gegenüber intellektuell in der Lage, mich zu verstehen?
    Hierbei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle: Sprache, Schnelligkeit, Komplexität... Diese sollte ich anpassen.
2. Interessiert sich der Adressat für mein Thema?

Diese beiden Aspekte müssen eigentlich alle Menschen permanent einschätzen, so passe ich z.B. meine Sprache und Aussagen an das Alter eines Kindes an, spreche langsamer und deutlicher, wenn jemand die deutsche Sprache gerade erst lernt, schwerhörig ist o.ä.. Und bei einem Sportwettkampf verleihe ich als Preis kein Physikbuch.

Der Hochbegabte muss sich bei diesen beiden Themen allerdings deutlich häufiger anpassen als der Normalbegabte.

Der dritte Aspekt ist hochbegabtenspezifisch, er betrifft die Frage:

3. Ist mein Adressat emotional in der Lage mit meiner Hochbegabung umzugehen?


Man sollte z.B. einschätzen, ob ein Lehrer damit umgehen kann, wenn ich etwas besser weiß als er oder ob dies negative Gedanken und Gefühle in ihm auslöst und er diese evtl. nicht ausreichend in den Griff bekommt. Oder ob ein Chef Angst hat, dass der Hochbegabte ihm den Stuhl streitig macht. 

In diesen Fällen geht es beiden Seiten schlecht: Dem Gegenüber, der meist Angst oder Neid empfindet, und dem Hochbegabten, der (teils unbewußten) offenen oder verdeckten negativen Reaktionen ausgesetzt ist. (vgl. auch Ambivalenzdilemma)

Deshalb ist es wichtig, die emotionale Reaktion des Gegenübers einzuschätzen und Prioritäten zu setzen, z.B.:

  • Ich habe Verständnis für die Reaktionen meines Gegenübers und stelle ihm zuliebe meine Bedürfnisse zurück.
  • Ich schütze mich vor negativen Reaktionen und stelle mir zuliebe meine Bedürfnisse zurück.
  • Ich muß mich nicht sofort und/oder umfassend durchsetzen, sondern ich gehe es  z.B. strategisch oder diplomatisch an, suche den Austausch, bestehe nur auf einen Teil o.ä.
  • Ich sehe das nicht ein (ich erwarte vom anderen z.B. mehr Professionalität oder mir ist der Verzicht zu groß). Deshalb zeige ich mich und kämpfe.


Wenn man sich dies durchliest, wird deutlich, dass die soziale Integration zu großen Teilen von dem Hochbegabten geleistet werden muss und er immer wieder in ein Spannungsfeld gerät (Ambivalenzdilemma).

Dies ist für viele sehr anstrengend und verdient Würdigung und Wertschätzung.

Manchmal treten Frust- und Überforderungsgefühle auf.

Wenn dies häufig der Fall ist, können u.a. Hilflosigkeitsgefühle, Depressionen, Verbitterung und Aggressionen entstehen.
Je kompetenter, selbstbestimmter und effektiver man mit den Herausforderungen der Hochbegabung umgehen kann und je mehr Zugang man zu seinen Ressourcen hat, desto mehr verschwinden diese Symptomatiken. Hierzu gehört auch, realistische Erwartungen zu entwickeln und manche Dinge und eine gewisse Ungerechtigkeit auszuhalten. Dies müssen alle Menschen und es gibt Gruppen, denen es ähnlich oder sogar schlechter geht, z.B. Menschen mit anderer Hautfarbe, Migrationshintergrund, Behinderungen o.ä.. Und Normalbegabte müssen auch die Ungerechtigkeit aushalten, dass Sie sich intellektuelle Dinge teilweise viel härter erarbeiten müssen als Hochbegabte und Ihnen gewisse Chancen verschlossen bleiben. 

Sehr hilfreich ist der Kontakt zu anderen Hochbegabten, da dort keine die Integrationsleistung notwendig ist (bzw. nur im üblichen Maß). Kontaktdaten der Verbände finden Sie hier: Kontakte.


Zum Weiterlesen:

Ambivalenz-
dilemma

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Selbsterleben vs. Aussenwirkung

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Umgang mit
Vorurteilen

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Small Talk

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