Fremdheitsgefühle

Viele Hochbegabte schildern das Gefühl „irgendwie anders zu sein“ oder sich als „fremd“ zu erleben. Dies liegt daran, dass sie bewusst und unbewusst immer wieder erleben, dass Ihre Wahrnehmung der Welt und ihre Interessen und Beurteilungen oft nicht geteilt werden. Ein hochbegabtes Grundschulkind beginnt zum Beispiel über ein Thema zu sprechen, dass es interessiert, seine Klassenkameraden steigen darauf aber nicht ein. Vielleicht beschäftigen sich stattdessen sogar mit einem Thema, dass das HB-Kind für irrelevant hält. Andere Beispiele sind, dass die Moralvorstellungen abweichen oder, falls der HB hochsensibel ist, andere Menschen Reize, die er wahrnimmt und als belastend empfindet, gar nicht bemerken. Der HB ist in seinem Erleben allein. Er kann sich die Unterschiede nicht erklären und erlebt sie als merkwürdig und unerklärlich.

Ein weiterer Punkt ist, dass für Hochbegabte manche gesellschaftliche Überzeugungen und Regeln nicht stimmen. Es wird z.B. immer propagiert, dass man sich in der Schule anstrengen muss und man zeigen soll, was man kann. Dieses Verhalten wird angeblich belohnt. Der HB braucht sich nicht anzustrengen und es ist nicht immer gewünscht, dass er zeigt, was er kann. Es kann sogar zu sehr negativen Konsequenzen führen.

Auch kommt es zu Missverständnissen, wenn dem HB seine Abweichung von der Norm nicht bewusst ist. Ein hochbegabter Erstklässler fühlte sich zum Beispiel in seiner Klasse sehr unwohl. Er war der Ansicht, seine Klassenkameraden seien unehrlich. Auf die Nachfrage, warum es dies glaubt, antwortete es: „Die tun immer so, als ob sie nichts verstanden haben und denken sich Fragen aus. Die Lehrerin hat nämlich am Anfang ganz oft gesagt, sie findet es gut, wenn man fragt. Und zu mir sagen sie Streber, dabei mache ich im Unterricht oft gar nicht mit, weil ich heimlich rechne.“

Eine andere HB glaubte lange, dass es eine Art Höflichkeitsformel sei, so zu tun, als ob man etwas nicht verstanden hat. Sie bemühte sich, herauszufinden, nach welchen Regeln dies geschieht, wie lang man zum Beispiel warten muss, bis man signalisieren darf, etwas verstanden zu haben.

Ein weiteres Beispiel ist, dass Schüler statt einer Klassenarbeit ein Plakat zu einem bestimmten Thema gestalten sollten. Der Lehrer gab diesbezüglich vor, dass die Schüler dafür soviel Zeit verwenden sollten, wie sie auch normalerweise für eine Klassenarbeit lernen. Das hochbegabte Kind geriet unter Druck, weil es normalerweise maximal 20 Minuten für eine Arbeit lernt und nicht auf die Idee kam, das dies bei anderen anders ist. Es gab ein sehr einfaches Plakat ab, regte sich über die anderen Schüler auf, die sich seiner Ansicht nach nicht an die Regeln gehalten hatten und bekam die Rückmeldung faul zu sein bzw. sich nicht bemüht zu haben und eine schlechte Note.

Aus diesen Gründen ist es hilfreich, wenn der HB selber und wenn möglich auch seine Umwelt die Normabweichungen einschätzen und sich darüber austauschen und verständigen können.

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