Ambivalenzdilemma

Hochbegabte befinden sich oft in einer Lose-Lose-Situation: Wenn Sie sich authentisch zeigen und ihren Bedürfnissen nachgehen (zum Beispiel kritisch nachfragen, Ihre Fähigkeiten nutzen, um sich durchzusetzen, ihr Wissen zeigen u.ä.) laufen sie Gefahr abgelehnt zu werden. Wenn Sie Ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse verstecken, vermeiden sie abgelehnt zu werden, aber verleugnen sich selbst und es drohen Langeweile, Unterforderung und Frustrationsgefühle.
Als Hochbegabter muss man sich immer wieder für eine der beiden Alternativen entscheiden. Aufgrund von Sozialisierungs- und Erziehungsprozessen geschieht dies nicht selten automatisiert und unbewusst. Da keine Lösung befriedigend ist, entstehen immer wieder innere Spannungen. Manche HB sind diese so gewohnt, dass Sie sie kaum noch wahrnehmen oder als normal empfinden.

Da das Ambivalenzdilemma ist meiner Erfahrung nach meist nicht komplett aufzulösen, aber es kann reduziert werden.

Folgendes hat sich in meiner Praxis als hilfreich gezeigt:

  • Da vieles automatisiert abläuft sollte man überprüfen, ob die Ängste abgelehnt zu werden aktuell zutreffend sind, oder ob es sich um Generalisierungen und Übertragungen aus der Vergangenheit handelt. Es kann sein, dass eine frühere Freundin sich aufgrund der Hochbegabung abgewendet hat, jetzige Freunde die Eigenschaft aber tolerieren würden oder toll finden.
  • Durch die Kenntnis des Ambivalenzdilemmas kann man die Vor- und Nachteile der jeweiligen Entscheidung besser abwägen und sich bewußt entscheiden, was einem in der jeweiligen Situation wichtig ist. Durch eine bewußte statt automatische Entscheidung gewinnt man ein Stück Kontrolle zurück, reduziert das Gefühl hilflos und ausgeliefert zu sein und kann sein Leben aktiver und mehr nach seinen Bedürfnissen gestalten.
  • Hohe intellektuelle Fähigkeiten wirken auf andere oft bedrohlich und lösen Neid- oder Minderwertigkeitsgefühle aus. Diese sind oft der Grund für Ablehnung oder Abwertung. Manchmal setzen sich andere Menschen in Konkurrenz zu einem, ohne dass man diese auslösen wollte oder sich selber in Konkurrenz fühlt. Diese negativ anmutenden Gefühle und Verhaltensweisen sind gesund und evolutionär begründet, denn je überlegener man dem anderen ist, desto mehr droht er in der Hierarchie abzufallen und in der Folge bei der Verteilung von Ressourcen leer auszugehen. Wenn es zu einem Ressourcenmangel kommt, kann dies sogar den Tod bedeuten. Deshalb ist es hilfreich zu signalisieren, dass man keine Bedrohung darstellt bzw. darstellen möchte und man sich nicht über dem anderen einstuft. Je mehr der Interaktionspartner spürt, dass er menschlich gewertschätzt und als gleichwertig wahrgenommen und behandelt wird, das heißt je besser die Beziehung ist, desto mehr kann man sich zeigen, ohne dass Abwertungs- und Ausgrenzungsprozesse ablaufen. Hierzu ist es hilfreich, dem Gegenüber mit vielen kleinen Gesten zu verdeutlichen, dass man nicht überall überlegen ist und sich nicht als "was Besseres" fühlt. Hierzu kann man zum Beispiel ansprechen, wenn man etwas nicht kann und den anderen um Hilfe bitten und / oder ansprechen und wertschätzen, was der andere kann oder besser kann, als man selbst. Auch ist es hilfreich, dass der andere merkt, dass er von der Hochbegabung profitiert. Beispielsweise kann man dem Kollegen die leidliche Rechercheaufgabe abnehmen, die einem Spaß macht, einem Mitschüler in der Klassenarbeit einen Tipp geben (Lehrer müssen sich etwas anderes ausdenken :-)) oder jemandem, der gerade daran verzweifelt, freundlich mit dem neuen Computerprogramm helfen.
    Hierbei geht es nicht darum, sich zu verleugnen oder unterzuordnen, sondern zu zeigen: „Intelligenz ist nur eine Eigenschaft von vielen. Ich kann viel und Du kannst viel, wir unterstützen uns und sind ein gutes Team“. Letzten Endes geht es um eine grundlegend wertschätzende Haltung Menschen gegenüber, die man als Hochbegabter manchmal bewusst zeigen muss, um die natürlich aufkommenden Ängsten und bestehende Vorurteile zu entkräften. 

Zum Weiterlesen:

Selbstwert

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Selbsterleben vs. Aussenwirkung

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Fremdheitsgefühle

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Soziale
Kompetenz

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Small Talk

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Umgang mit
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